SXSW 2018: Wein und Digitalisierung
Vielleicht geht es ihnen auch so: Selbst die analogsten Menschen in unserem Bekanntenkreis haben Vivino für sich entdeckt, jene App, mit der Nutzer Weinetiketten fotografieren und dann Bewertungen, Preise bei Onlinehändlern und weitere Informationen bekommen.
Das Startup aus Dänemark ist in den acht Jahren seiner Existenz von einem nützlichen Hilfsmittel der Vinophilen zu einem Massenphänomen mit 30 Millionen Nutzern geworden, jeden Tag wird die App weitere 20.000 Mal installiert. Mehr noch: Vivino ist der größte Online-Weinvermittler Europas. Jeder Weinhändler mit E-Shop kann mit Vivino kooperieren und dann werden seine Angebote in die App eingebunden – allerdings im Preisvergleich mit der Konkurrenz.
Gründer Heini Zachariassen ist zwar ein eher dröge wirkender Mittvierziger von den eher nicht durch Wein auffällig gewordenen Färöer-Inseln. Doch in seiner Art erinnert er an jemanden, der ein Vorbild für Vivino ist: Jeff Bezos. „Früher kauften die Menschen Bücher im Laden, weil sie ein paar Seiten anlesen konnten, Auswahl und Beratung hatten. Dann bekamen sie all das im Internet und kauften bei Amazon. Wir glauben, dass diese Entwicklung im Weinbereich bevorsteht“, sagte Zachariassen.
Tatsächlich arbeitet sich digitale Technologie in immer mehr Bereich des Wein-Business vor, wie die SXSW zeigte. „Wir schauen uns ständig den Biermarkt an und erkennen eine ähnliche Entwicklung jetzt bei Wein“, sagte Rob Wilder, Chef der Gastronomieholdung Think Food Group. Ein Grund dafür könnten die technikfreudigen US-Millennials sein: „42 Prozent aller Weinkäufe in den USA kommen von Millennials – mehr als von jeder anderen Generation.“
Für Zachariassen eine Folge von Plattformen wie Vivino: „Millennials haben beim Kauf eines Weines weniger Zweifel, denn sie sehen die Bewertungen vieler anderer Nutzer.“ Deshalb seien sie experimentierfreudiger und würden auch Weine kleinerer und unbekannterer Produzenten kaufen.
Auch Camille Marcus sieht den Einfluss der Millennials. Sie bringt mit ihrer Konferenz Tech Table Summit in New York Food-Startups, Investoren und Gastronomieunternehmen zusammen.
„Instagram hat das Weingeschäft revolutioniert“, glaubt sie. Inzwischen gebe es die ersten Weingüter im Napa Valley, die über diesen Kanal von Vinophilen entdeckt würden und bis zu 90 Prozent ihrer Umsätze im Direktgeschäft mit Verbrauchern erzielten. Auch Winefluencer gebe es bereits: Instagrammer, die durch Weinregionen reisten und so überzeugend seien, dass ihr Besuch sofort für Absatz beim entsprechenden Weingut sorgte.
Nicht nur im Marketing spielt digitale Technik eine Rolle. Chai Wine geht das Problem der Weinfälschung im Bereich sehr hochwertiger Flaschen an. Durch Blockchain soll künftig die Echtheit solcher Top-Tropfen unfälschbar bestätigt werden.
Und auch die Produktion von Wein verändert sich bereits, wie in Austin Florenzia Palmaz zeigte, die Mitgründerin des Weingutes Palmaz im Napa Valley.
„Die Technik-Lücke zwischen Anbau und Keller ist noch immer gewaltig“, erklärte sie. Palmaz sei das erste Gut im Napa Valley, das die digitale Hochtechnologie des Feldanbaus auf Wein übertrage: Das Team arbeitet kontinuierlich mit Satellitenfotos und Bodenproben, deren Daten übereinander gelegt werden, um Probleme frühzeitig zu erkennen. So habe ihr Gut 40 Prozent Wasser einsparen können.
Derweil arbeitet im Keller von Palmaz eine selbst lernende Software, die den Kellereiprozess überwacht. Wann immer ein Tank (Palmaz arbeitet nur mit Tanks, nicht mit Fässern) eine positive oder negative Entwicklung zeige, werde dies der Software mitgeteilt. Diese lerne dann Saison für Saison, welche Gärprozesse gewünscht sind und welche nicht. Aber: „Die Software warnt, aber sie greift nicht aktiv in den Prozess ein“, betont Palmaz.
Damit die Kellermeister nicht ständig auf Bildschirme schauen müssen, werden die aktuellen Daten jedes Tanks in an die Wände des Kellers projeziert. Folge: Ein futuristisch anmutendes Szenario, das bei Kellerbesichtigungen bestens ankommt.
Doch wird Palmaz eine Chance haben, wenn Top-Wein komplett durch eine chemische Reproduktion der Moleküle kopiert werden können, ohne dass der Konsument einen Unterschied erkennt? Genau das verspricht Ava, ein Startup aus San Francisco.
„Ich bin mir sicher, dass dies technisch möglich sein wird“, meint Gastronom Wilder. Trotzdem behielt er genauso die Ruhe wie andere auf dem Podium. Zachariassen: „Ich habe keine Angst davor. Auch die 3$-Rolex aus China ist nicht so viel schlechter als das Original. Trotzdem gibt es Rolex weiter. Die Menschen wollen nicht nur ein Produkt kaufen, sondern auch die Geschichte dazu.“