Facebook – Nervenbahn unserer Gesellschaft
Wir bei kpunktnull sind keineswegs der Meinung, jedermann müsse auf Facebook sein. Wir versuchen auch Entscheider zu bremsen, die ihren Leuten befehlen: Wir müssen auf Facebook sein!
Facebook ist nicht alles und kein Allheilmittel.
Aber….
Keine Technologie und kein Dienst in der Geschichte der Menschheit hat sich schneller verbreitet. Das lässt einen ja schon mal grübeln. Erst recht, wenn das Netzwert maßgeblich beim Stürzen nordafrikanischer Diktatoren behilflich ist.
Doch diese großen Geschehnisse sind nicht das Entscheidende. Tatsächlich sind es die kleinen Dinge die dafür sorgen, dass Facebook dabei ist, zur Nervenbahn unserer Gesellschaft zu werden. Inzwischen ist es selbst für Menschen außerhalb der Blase der Digital-Extremnutzer ganz normal, am Geburtstag von Glückwünschen auf Facebook überschwemmt zu werden. Klar: Facebook weist natürlich aktiv darauf hin und so gratulieren viele Nutzer eben anderen, denen sie sonst nicht gratuliert hätten. Aber genau das ist der Punkt: Früher hatten wir jene Menschen, denen wir unbedingt gratulieren wollten, jene denen wir gratulierten, wenn es gerade passte und jene, bei denen wir es unterließen.
Facebook sorgt für eine feinere Granulierung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen – und somit für mehr Nähe, wenn auch nur ein wenig mehr. Denn wenn uns da jemand gratuliert denken ja nur die Extrem-Misanthropen: “Bäh, der fiese Möpp schreibt das nur, weil Facebook ihn daran erinnert hat.” Tatsächlich freuen sich die meisten Menschen ein ganz klein wenig selbst über ein dürres “Herzlichen Glückwunsch”.
Was mit Geburtstagen beginnt nimmt seine Entsprechung bei Todesfällen. Auch hier treffen sich die Menschen auf dem Facebook-Profil des Verstorbenen, um ihm persönliche Abschiedsbriefe zu schreiben und gemeinsam zu trauern. Dies tun vor allem jene, die nicht in unmittelbar engem Kontakt mit den Hinterbliebenen stehen.
Nun trauern wir also auch auf Facebook. Man mag das grauenvoll finden. Doch wo sonst hätte man dies bisher tun können, sich treffen, um einen Menschen zu betrauern, der viele hundert Kilometer entfernt begraben wird? Und einen Moment innehalten um zu lesen, wie andere den Verstorbenen in Erinnerung haben? Auch dies ist eine neue Granulierung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen.
Diese Fein-Granulierung erzeugt auch neue Fragen zum Umgang miteinander. Hätten wir zum Beispiel hier eines jener Trauer-Profile verlinken sollen? Wir haben uns dagegen entschieden. Der New Yorker Journalismus-Professor, Medienberater und Blogger Jeff Jarvis sieht bereits die Notwendigkeit neuer Regeln im Umgang mit einander: „Davon wird mein nächstes Buch handeln“, kündigte er jüngst an.
Andere entwickeln längst ihre eigenen Regeln. In Geek-Kreisen des Silicon Valley stapeln Menschen, die sich zum Abendessen treffen ihre Handys übereinander, sie dürfen ruhig eingeschaltet sein. Wer zuerst zum Handy greift, zahlt die Rechnung.
Noch viel härter über diese neuen Herausforderungen nachdenken müssten eigentlich Eltern. Mobbing von Mitschülern ist nicht durch das Internet entstanden, aber das Problem ist nun öffentlicher und hat aller Wahrscheinlichkeit nach zugenommen. Erziehungsberechtigte wie Pädagogen wären dazu aufgerufen, sich Gedanken zu machen über Facebook-Verhaltensweisen. Leider aber passiert hier viel zu wenig außerhalb von Verboten und hysterischem Wehgeklage.
Für viele Menschen ist Facebook auch der spontane Anlaufpunkt geworden, um mit anderen ins Gespräch zu kommen. Wann immer in der Welt etwas passiert, was uns emotional berührt, bilden sich Pages und Profile, die sich über jenen Sachverhalt mokieren und lustig machen, die den Rücktritt von Amtsträgern fordern oder ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Nehmen wir nur einmal das Profil von Christian Wulff. Zwar hat er nur rund 24.000 Freunde (jene Freundeszahlen sind natürlich so ein Problem: Oft drücken Menschen ja den Like-Button nur, um an einer Diskussion besser teilhaben zu können), aber die schreiben sich die Finger blutig: über 12.000 Kommentare zählt eines der Status-Updates.
Aus solchen neuen, hochaktiven und oft auch sehr großen Gruppen erwächst eine neue Anspruchshaltung. Ohne dies so auszusprechen ist es für viele Menschen nicht verständlich, dass ein Mensch oder eine Institution, die aus Sicht des normalen Bürgern größer und/oder mächtiger wirkt nicht diesen Dialog aufnimmt. “Wenn ich da bin”, denken viel, “warum dann nicht der Politiker, ein Vertreter eines Unternehmens, ein Star?”
Mancher Star stellt dann aber auch fest, dass diese Kommunikation ganz spannend, unterhaltsam oder befruchtend sein kann. Ein Beispiel dafür liefert derzeit Thomas Gottschalk: Er chattete live mit den Facebook-Fans seiner Seite. Auch wird das Social Network wohl eine bedeutende Rolle in seiner neuen Show spielen. Gottschalks digitale Kommunikation wird zwar noch ein wenig holperig und berauscht von der schlichten Tatsache, tatsächlich etwas selbst zu schreiben und direkt Resonanz zu erhalten – aber so erging es vielen bei ihren ersten Schritten in Social Media.
Fehlt diese Kommunikation aber, dann toben sich auf einer Facebook-Seite – wie es bei unmoderierten Foren immer der Fall ist – schnell die Wütenden aus. Eben so, wie bei Christians Wulff Facebook-Auftritt. Und den Wütenden folgen die Kundigen – es entsteht eine Diskussion, die dem Verwalter der Seite nicht recht sein kann.
So ließ es Burda zu, dass sich über eine gehörige Zeit Bushido-Gegner auf derFacebook-Seite der Mediengruppe austobten. Erst spät folgte der Schnitt und das Abstellen des freien Schreibens auf der Pinnwand. Bis dahin waren die Freunde des Konzerns vertrieben, nun hat die Seite zwar noch 3772 Fans – aber praktisch keine Aktivität mehr.
Eine andere Art von Panne erlebte jüngst Lidl. Der Discounter pries auf seiner Facebook-Seite eine Plastik-Palme an, die es für nur 1 Euro im Online-Shop kaufen gebe. Nach weniger als einer Stunde aber meldeten sich die Wütenden, weil der Artikel ausverkauft war.
Schnell waren auch Nutzer zur Stelle, die aus ihrer bevorzugten Filiale berichteten, die Mitarbeiter dort hätten noch nie von diesem Angebot gehört. Und dann meldeten sich jene, die erklärten, ein Großunternehmen müsse laut Gesetz in der Lage sein, ein beworbenes Produkt mindestens zwei Tage lang liefern zu können.
Schlimmschlimmschlimm für Lidl? Ein unmittelbarer, spürbarer Schaden? Nein. Aber hier werden Verbraucher durch andere Verbraucher mündig gemacht und sie werden sich an solche Informationen erinnern, sehen sie das nächste Mal das rotletterige “ausverkauft”. So gewöhnt uns Facebook ganz langsam und unterschwellig an neue Kontakte, neue Informationen und neue Verhaltensweisen. Man kann das schrecklich finden und verdammenswert – nur ändern wird das niemand können.
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