SXSW 2019: Friktion des Markenerlebnisses
Wer die SXSW über Jahre besucht – für kpunktnull war es die achte Ausgabe –, der kann verfolgen, wie Trends über die Zeitläufte einander auslösen und befeuern. „Kein Trend entwickelt sich im Silo“, wie Trend-Professorin Amy Webb von der New York University in Austin sagte.
In diesem Jahr zeichnete sich ab, dass Marketing und Werbung sich deutlich verändern werden. Schon immer galt, dass eine Marke nur ein Angebot eines Unternehmens ist – was in den Köpfen der Verbraucher aus diesem Angebot entsteht, war schon immer ihre Sache.
Allerdings haben Marketers diesen Zusammenhang in den vergangenen Jahrzehnten ignoriert. Sie glauben, dass die Konsumenten alles haarklein verinnerlichen, was ihnen im Web, in Print, Out of Home, TV oder Radio vorgesetzt wird.
„Content bekommt aber erst Bedeutung, wenn ihn jemand konsumiert und interpretiert – erst dann wird er Kommunikation“, sagte in Austin Neil Davidson, der General Manager auf verhaltenswissenschaftliche Ansätze spezialisierten Agentur HeyHuman. Und er zitierte George Bernard Shaw: „Das größte Problem in der Kommunikation ist, dass sie stattgefunden haben soll.“ Doch das passiere eben erst, wenn Marken, Spots oder Produkte im Gedächtnis kleben bleiben: „Wir erinnern uns eher an neue Ereignisse, denn an gewohnte – Neues motiviert uns, Dinge zu erforschen.“
In Austin zeichneten sich drei Wege ab, wie Marken individuell werden können:
Individuelle Produkte
Die Zeiten weltweiter Massentrends sind für Paul Dillinger, den Innovations-Vizepräsidenten von Levi Strauss, vorbei: „Immer mehr Menschen schaffen sich ihre Kultur, es entstehen Micro-Kulturen. Früher definierte man sich über ,Ich bin reich‘ oder ,Ich besitze Macht“. Heute heißt es einfach „Ich bin“ – man definiert selber, was einen ausmacht.“
Individuelle Marken
Als Christina Tosi ein neues Logo für ihre New Yorker Bäckerei „Milk Bar“ präsentierte, waren viele alt gediente Mitarbeiter wenig begeistert. Doch ein neues Markenbild war nötig geworden, nachdem aus dem Winz-Lädchen im East Village eine Kultbäckerei mit eigener Folge in der Netflix-Serie „Chef’s Table“ geworden war.
„Viele Mitarbeiter schnitten das Logo beim Softeisbecher oder beim Einpackpapier ein Stück weit ab – als Protest“, erzählte Tosi auf der SXSW. Der dynamischen Gründerin gefiel das: „Das war eine Art von Unperfektion, die nur für deinen einen Cup von Softeis gemacht war. Und wenn jemand ein Paket online bestellt hatte, merkte er sofort, dass es von einem Menschen gepackt wurde.“ Die Folge: Das Anschneiden des Logos ist heute nicht nur erlaubt, sondern sogar gewünscht.
Bestätigt fühlt sich Michael Greenblatt, der Strategiedirektor von Red Scout, der Agentur der Milk Bar. Sein Team entwarf kein fixiertes Markenbild, sondern ein System aus Instrumenten, mit denen das Milk Bar-Team kreativ werden konnte – zum Beispiel Klebeband und Stempel. „Ihr habt das System genommen und daraus eine neue Welt erschaffen“, sagte Greenblatt zu Tosi.
Solche Welten entstehen dann auch in den Köpfen der Verbraucher, die mit Produkten und Markenbildern das anstellen, was ihnen gefällt. „Originalität hieß früher der erste zu sein, der etwas tat oder trug“, sagte in Austin Ferdinando Verderi, Kreativdirektor der Werbeagentur Johannes Leonardo: „Heute heißt es, etwas vorhandenes zu nehmen und es für sich zu definieren.“
Friktion
Spätestens seit Uber sind Friktionen in der Customer Journey der Antichrist für jene, die in Unternehmen mit Serviceleistungen betraut sind. Denn Uber gilt als Muster für Friktionsfreiheit: Einfach die App aufmachen, eine Fahrt buchen, ins Auto steigen und am Ziel wieder aussteigen – alles ganz simpel, nirgends ein Bruch im Ablauf, der nerven würde.
John Wilkins, CEO der Londoner Kreativagentur Karmarama, hielt bei der SXSW dagegen ein Loblied auf Friktionen: „Ständiger Versuch alles friktionsfrei zu machen, zerstört Marken. Denn Friktionen sind das, was Erinnerungen und Emotionen aufbaut.“
Menschen erinnerten sich an Brüche oder sogar Hindernisse viel mehr als an friktionsfreie Käufe oder Serviceerlebnisse: „Die Leute lieben Ikea obwohl es schwer ist, die Produkte aufzubauen. Aber je härter es war, desto mehr redet man darüber.“ Ein anderes Beispiel sind für Wilkins limitierte Modemarken wie das Streetwear-Label Supreme: „Meine Kinder stehen über vier Stunden Schlange vor einem Shop – und geben damit an.“
Auch Ben Chestnut ist ein Freund von Friktionen. Der CEO von Mailchimp spielt mit ihnen im Marketingauftritt. „Mailchimp klingt schrullig und lustig. Aber genau das weckt Vertrauen bei kleinen Unternehmen und Gründern“, weil es nicht ganz so leicht zu merken und manchmal auszusprechen sei. Die bisher effizienteste Werbung für den Newsletter-Versender war ein Podcast-Spot, in dem Menschen auf der Straße nach Mailchimp gefragt wurden. Eine der Befragten sprach das Unternehmen „Mailtchimp“ aus – und Chestnut beließ diese skurrile Aussprache bewusst im Spot. Folge: Genau dies blieb bei Hörern im Gedächtnis, die Werbung im Rahmen des Erfolgs-Podcast „Serial“ befeuerte das Wachstum wie keine andere Marketingmaßnahme.
Erfolgshindernis: Angst
Die neuen Marketingwege klingen logisch und spannend. „Es geht nicht um das, was auf Bildschirmen zu sehen ist, sondern was im Kopf der Rezipienten vor sich geht“, sagte in Austin Chris Bobotis, der Director Immersive bei Adobe.