SXSW 2019: Viel Hype um E-Scooter
Wie geht SXSW-Domino?
Man stellt sich an eine Ecke, an der mehrer E-Scooter nebeneinander aufgestellt sind und wartet auf den nächsten Windstoß.
KLACK-KLACK-KLACK – schon fallen die motorisierten Tretroller einer nach dem anderen um. Aufheben? Macht keiner.
Während der SXSW waren E-Scooter überall. 10 Anbieter mit fast 18.000 Rollern hat die Stadt lizenziert, darunter die Ridesharing-Größen Uber und Lyft, buhlten um Kunden. Gerade bei diesen beiden war die Nutzung besonders einfach: Die Roller tauchten in der ohnehin schon bei vielen genutzten App ohne weitere Anmeldung auf. Wer noch kein Kunde war, der wurde mit kostenlosen Fahrradhelmen oder anderen Goodies bei Anmeldung beschenkt.
Der Verlockung erlagen viele, auch deutsche Journalisten. Von einem „Milliardengeschäft“ fantasierte das „Handelsblatt“ und schrieb: „Dieses Jahr leuchtet die 7th Street vielleicht noch ein wenig greller als sonst.“
Wir bei kpunktnull sind aber höchst skeptisch und glauben, dass die Roller nur ein temporäres Phänomen bleiben werden. Das hat mehrere Gründe:
E-Scooter sind gefährlich
Das Mitzählen von Gefahrensituationen wurde in den Tagen von Texas zum Sport. Die schnellen Roller ermutigen dazu, mal eben schnell bei Gelb über ein Ampel zu huschen oder wie Alberto Tomba zwischen Fußgängern hin- und herzuwedeln.
Eigentlich sollten Scooter-Fahrer einen Helm tragen – interessierte aber keinen. Wer sich vollkommen vom Hier und Jetzt befreit fühlte, wagte sogar Skateboard-artige Kunststücke. Kinder wurden gern als zweite Person auf das Trittbrett gestellt. Und Taxi- und Ride-Sharing-Fahrer klagten bereits über zu mutige Scooter-Fahrer. Seit September gab es bereits 4 Tote bei Roller-Unfällen, einen davon in Austin. Die Verbraucher-Seite Consumer Reports recherchierte 1.500 Unfälle seit Ende 2017.
Immerhin handelt die Stadt Austin nicht voreilig. Sie beauftragte eine Studie zur Sicherheit von E-Rollern. Und auf dem Jogging- und Radpfad entlang des zentralen Lady Bird Lake untersagte sie zwar die Roller – aber nur, um die Folgen von E-Fahrrädern besser untersuchen zu können.
E-Scooter verleiten zum Vandalismus
In Austin wird viel getrunken und gefeiert. Schon in Amsterdam landen Leihfahrräder gern in den Grachten, auch in Deutschland passiert ähnliches. Scooter lassen sich noch einfacher um- und wegwerfen. Hinzu kommt das oben beschriebene Windproblem.
Das werden sich Städte nicht lang bieten lassen. Vielleicht werden sie Scooter-Systeme auf solche Anbieter beschränken, die Abholen und Abgeben nur an Ladestationen erlauben – dies würde das Problem ein wenig eindämmen. Gleichzeitig würde es aber die Freiheit der Nutzer einschränken und dies hätte dann Folgen für das Geschäftsmodell.
E-Scooter sind nicht voll alltagstauglich
Wenn das „Handelsblatt“ von einer „leuchtenden“ 7th Street schreibt, ist das gleich zweimal falsch. Zum einen ist die 7th Street eine der langweiligsten Straßen in Downtown Austin – keine Kneipen, keine Geschäfte, vor allem Büros.
Es ist doppelt falsch, weil jenes Leuchten ja mit den Scootern begründet wurde. Die aber waren auf der siebten Straße nur selten zu finden. Der Grund: Wer von der Partymeile 6th Street auf die 7. möchte, muss einen nicht unerheblichen Anstieg bewältigen. Der ist schon für Fußgänger ein klein wenig Schweiß treibend – für die Roller ist er nicht machbar. Denn die geben schon bei kleinsten Steigungen den Geist auf.
Das gleiche betrifft die Batterieladung. Da die Roller nicht an Ladestationen abgegeben werden, kann es schnell passieren, dass der Saft während der Fahrt ausgeht. Und dann bleiben die Gefährte da liegen, wo der letzte Strom entschwand.
E-Scooter haben kein tragbares Business-Modell
Die Roller sind wahnsinnig günstig. Weniger als zwei Dollar kostete ein 2,5 Kilometer langer Weg, die meisten Fahrten wurden nach einem nicht-repräsentativen Umherfragen mit weniger als einem Dollar abgerechnet. Die Abrechnung solcher Winzbeträge ist zwar keine so hohe Hürde mehr wie früher, ist aber immer noch ein Thema in Sachen Wirtschaftlichkeit.
Hinzu kommt: Da die Roller nicht an Ladestationen abgegeben werden mussten, sammelten Hilfskräfte sie an jedem Abend ein um sie zum einem kompatiblen Stromanschluss zu bringen. Diese Hilfskräfte bekamen 4 bis 10 Dollar – pro Scooter.
Schon bei diesen täglichen Kosten erscheint eine Refinanzierbarkeit angesichts der winzigen Kosten pro Fahrt schwer. Hinzu kommt noch ein ur-amerikanisches Problem, wie die Mitarbeiterin eines Roller-Anbieters erklärte: Die Scooter sind einfach nicht auf amerikanische Körpergewichte ausgerichtet – und gehen schneller kaputt.
Zwar schreibt das „Handelsblatt“ im erwähnten Artikel von einer McKinsey-Studie, die dem Markt für Mikromobilität in Europa bis zum Jahr 2030 Umsätze von bis zu 140 Milliarden Dollar prophezeit. Doch bezieht sich diese Studie eben auf das gesamte Umfeld von Leihfahrrädern bis zu elektrischen Motorrollern. Und auch die dort verwendeten Zahlen für E-Scooter wecken Skepsis: So kalkuliert McKinsey mit durchschnittlichen Einnahmen pro E-Scooter Miete von 3,65$. Rückholkosten sind in dem Modell überhaupt nicht eingerechnet.
Angesichts all dieser Herausforderungen sehen wir bei kpunktnull den Scooter-Hype deshalb sehr skeptisch. Prognose: Schon bei der kommenden SXSW werden wir die Roller nicht mehr in Austin sehen.