SXSW 2018: Wie finde ich Trends?
Es ist die Frage, die SXSW-Besuchern nach der Rückkehr in die Heimat am häufigsten gestellt wird: „Was sind die heißen Trends?“
Verständlich. Schließlich hatten Twitter, Foursquare und Livestreaming in Austin ihren Durchbruch. Noch dazu ist die Reise weit, da sollte der Aufwand schon mit der Erkenntnis über das nächste, große Ding gerechtfertigt werden können.
Die Konferenz hat sich auf diese Klientel der Trendsucher eingerichtet. Jahr für Jahr erhalten Trendforscher mehr Raum, so dass sich nun auch Meta-Fragen beantworten lassen: Was ist ein Trend? Und wie lässt er sich erkennen?
Drei Vorträge von Trendforschern demonstrierten die aktuellen Richtungen dieser Disziplin – und alle drei gehörten zu den Höhepunkten der SXSW 2018.
Die ganz große Bühne mit 2.400 Plätzen bekam dabei Amy Webb, Gründerin des Future Today Institute und Professorin für Zukunftstechnologien an der New York University.
Sie bezeichnet sich als quantitative Futurologin und setzt komplett auf die Auswertung von Daten: „Wir suchen nach schwachen Signalen am Rande und versuchen daraus Muster zu erkennen“, sagte sie, „dann gilt es, die richtigen Fragen zu stellen. Am Ende entwickeln wir Modelle für mögliche, plausible und wahrscheinliche Zukunftsszenarien.“ Wichtiger als Einzeltrends sei es dabei, die Beziehungen zwischen den Trends zu erkennen. Und: „Oft wirkt ein Trend, wenn man ihm zum ersten Mal begegnet, klein und unbedeutend. Deshalb verpassen Top-Entscheider häufig große Entwicklungen im Bereich der Technologie.“
kpunktnull-Gründer Thomas Knüwer war außerdem geladen zu einem Round Table im exklusiven, kleinen Kreis mit Webb. Dort fragte er sie, was sie von Konsumentenbefragungen hält. Antwort: „Fokusgruppen sind wertlos. Denn wir Menschen sind wirklich schlecht darin, über uns selbst Bericht zu erstatten. Und wenn Menschen wissen, dass sie beobachtet werden, bekommt man keine echten Informationen.“
Ganz anders geht Carla Buzasi vor. Die ehemalige Gründungschefredakteurin der Huffington Post Großbritannien arbeitet heute als Managing Director beim Trendinstitut WGSN, das vor allem für die Modebranche arbeitet. Sie sagt: „Daten spielen bei uns keine große Rolle. Wir haben 240 Leute, die die Welt bereisen und sich umschauen.“ Zweimal jährlich treffen sich diese Scouts in der Zentrale von WGSN und fügen ihre Beobachtungen zu einem Gesamtbild zusammen.
Auch sie legt darauf Wert, dass selbst scheinbare Kleinigkeiten gewichtige Folgen haben können: „Nehmen wir nur einmal den Trend bei Damenschuhen, weg von flachen Modellen und hin zu höheren Absätzen. Das bedeutet eine Abkehr von neueren Materialen und eine stärkere Verwendung von Leder. Leder aber ist begrenzt verfügbar und muss Monate vor der Produktion geordert werden. Außerdem erfordern hochhackige Schuhe mehr Platz in Lager und Regal, auch müssen die Regale anders aussehen – das hat wieder Folgen für die Händler.“
Genauso wie Webb sieht sie Trends aber nicht als Einzelphänomene. Erst wenn sich eine Entwicklung über mehrere Lebensbereiche hinweg zeige, sei sie bedeutsam. Doch entstünden Trends heute immer schneller, weil sich Ideen via Social Web über die Welt verbreiteten.
Irgendwo zwischen Webb und Buzasi bewegt sich der Amerikaner Rohit Bhargava. Der Ex-Werber begeisterte im vergangenen Jahr einen winzigen Saal der SXSW derart, so dass er nun eine große Bühne erhielt.
Für seinen jährlich neu erscheinenden Bestseller „Non Obvious“ kuratiert er selbst 15 Trends, wirft aber in jedem Jahr drei raus. Damit steht er auf einer Linie mit seinen Kolleginnen: Für alle drei sind Trends nicht Erscheinungen, die nach einem Jahr wieder gehen – sie entwickeln sich über die Zeit hinweg.
„Meine Philosophie ist es, Ideen zu sammeln wie ein Vielflieger seine Meilen – sie wandern auf ein Konto, eingelöst werden sie aber erst später.“ So sammele er Artikel und Videos und Bilder und Studien, breite sie in seinem Büro aus und sortiere sie zu gemeinsamen Entwicklungen, aus denen er Trendmuster erkennt.
Dabei macht er aus seiner Methode kein Geheimnis: Die ersten Kapitel seines Buches widmen sich der Frage, wie jedermann Trends erforschen kann. Macht er sich arbeitslos? Eher nicht. „Trendkuratoren suchen nicht die Nadel im Heuhaufen. Sie häufen Heu auf und erschaffen dann die Nadel, die exakt in die Mitte passt.“ Sprich: Bhargavas Arbeitsweise erfordert mehr Zeit, als die meisten seiner Leser und Zuhörer haben dürften.
Die Top-Trends der Trendforscher
Doch was sind nun die Trends der drei Trendforscher? Hier die Zusammenfassung:
Amy Webb:
- Ende des Smart Phones: Augmented Reality, Spracherkennung und neue Displays werden Handys als mobile Computerplattform ablösen.
- Künstliche Intelligenz: Bisher haben wir nur einen kleinen Teil dessen gesehen, wozu KI fähig ist. Für Webb ist sie keine Technologie, sondern die nächste Ära in der Geschichte von Computern.
- Biologie: Von der aktiven Veränderung unserer Gene bis zu sich selbst zusammensetzenden Mini-Medizinrobotern im Körper wird Technologie Krankheiten schneller heilen aber auch unsere Körper optimieren.
Der Gesamtreport ist hier kostenlos herunterladbar.
Carla Buzasi
- Neue Mehrheiten: Die Generation der muslimischen Millennials wird 2050 ein Viertel der Weltbevölkerung darstellen, schon 2040 werden Weiße nicht mehr die Mehrheit der US-Bevölkerung darstellen. Dies wird weitreichende Folgen für Konsum und Marken haben.
- 5G: Die neue Mobilfunkgeneration erlaubt weitaus höhere Bandbreiten als heutiges Wlan. Mobile Commerce wird zum Alltag werden, Inhalteanbieter müssen auf neue Plattformen reagieren.
- Crowd-basierter Kapitalismus: Die Sharing Economy, zu der beispielsweise Airbnb oder Uber gehören, wird 2025 bis auf 335 Milliarden Dollar weltweit anwachsen. Das traditionelle Wirtschaftsmodell von Unternehmen, die ein spezifisches Produkt anbieten, wird dadurch bedroht.
Buzasis SXSW-Report ist frei erhältlich unter diesem Link.
Rohit Bhargava:
- Manipulierte Aufregung: Medien, Algorithmen und Werbung sorgen für einen ständigen Zustand des Ärgers und der Wut.
- Geschlechsneutralität: Die klassische Definition von Mann und Frau wird über den Haufen geworfen.
- Menschlicher Modus: Verbraucher sind bereit für ein Produkterlebnis zu zahlen, wenn Menschen dabei beteiligt sind.
- Schnelles Lernen: Lernen ist ein alltäglicher Vorgang, gespeist durch kleine Info-Happen wie Quizze oder Tipps im Social Web.
- Aufgeklärter Verbrauch: Die Menschen möchten als Konsumenten, Mitarbeiter und Wähler verändern.
- Disruptive Distribution: Bisherige Lieferketten werden völlig neu entworfen und ermöglichen so neuen Anbietern über den eigenen Standort hinaus erfolgreich zu sein.
- Liebenswerte Macken: Unperfekt und merkwürdig erscheinende Produkte werden von Verbrauchern als liebevoll empfunden.
Die Folien von Bhargavas SXSW-Auftritte sind hier zu sehen.