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Facebook und die Reichweite: Heult leise!

Es geht ein großes Heulen und Wüten durch die Branche der digital Marketing Treibenden. Die Reichweite bei Facebook geht zurück, klagen sie und es klingt ein solches mit Hybris anabolisiertes Selbstmitleid hindurch, dass es nur schwer zu ertragen ist. Das Social Network benachteilige Markenauftritte damit Unternehmen Werbung schalteten, lautet der Vorwurf. Erst jüngst machte „Horizont“ dies zum Titelthema, „Facebook kassiert ab“ lautete die reißerische Schlagzeile.

shutterstock kind heulen weinen

Wir bei kpunktnull sehen das etwas anders. Wir glauben, dass der Reichweitenverlust bei Facebook schlicht logisch und sich in den vergangenen Monaten für Marken-Pages nichts geändert hat. Mehr noch: Gäbe es bei Facebook überhaupt keine Werbung, so würde die Reichweite genauso sinken.

Blicken wir auf die Zahlen: 2009 hatte der durchschnittliche Facebook-Nutzer 4,5 Pages geliked, jede postete im Schnitt 5 Status Updates im Monat. Heute sind es laut Statistik  von AllFacebook 40 Pages mit je 36 Updates im Monat. Jeden Tag würde das für einen User ohne Newsstream-Filterung 48 Marketing-Posts am Tag bedeuten.

Will man das als Verbraucher?

Nein.

Sollte eine Plattform zulassen, dass solch ein Newsstream von Werbung überflutet wird?

Nein.

Womit wir bei einer vielleicht bitteren Wahrheit wären: Facebook wurde nicht für Werbetreibende erfunden. Mark Zuckerberg saß nicht in seiner Studentenbude und dachte: “Mööönsch, heute entwickel ich mal ne Plattform, auf der Unternehmen besonders geil Verbraucher zutexten können.” Er wollte Menschen miteinander in Kontakt bringen. Das hat ziemlich gut geklappt, womit wir bei der nächsten unschönen Realität wären: Die allerallerallermeisten Menschen sind nicht auf Facebook wegen Werbung, Kampagnen und Marken.

Den Fehler, den viele Entscheider machen, beschreibt Techcrunch in seinem lesenswerten Artikel zum Thema so:

“They worked hard to entice people to Like their Page. They paid Facebook for ads to get people to Like their Page, because Facebook told them it was a good long-term investment. They built businesses around the reach they got on Facebook, devoting resources to fill Facebook with content that pulls in the attention it monetizes. And they feel that if someone explicitly said they wanted to hear from their Page, they should see the Page’s posts. When that doesn’t happen, Pages feel robbed.

However, this perspective looks at each Page’s reach in a vacuum, when in fact they’re part of an entire ecosystem of Pages and people competing for attention in the zero-sum game that is the News Feed. It doesn’t recognize that every additional post you see from one Page is one less you see from a friend or other Page you care about.”

Diese Entwicklung der sinkenden Reichweiten war seit Jahren absehbar und das einzige, was sich grundlegend geändert hat, sind Details im Algorithmus. Auch unser Projekt mit Schwarzkopf beruhte auf der Vorahnung, dass genau so die Zukunft aussehen könnte. Dass Marken nicht allein auf Facebook aufbauen können. Denn es war und ist schlicht und ergreifend logisch, wenn die Reichweite sinkt, denn die Zahl der Marken-Pages ist genauso gestiegen wie die Zahl der Page-Likes der Nutzer.

Mehr noch: Viele Großunternehmen haben die Zahl ihrer Likes durch Gewinnspiele unnötig in die Höhe geschossen. Unnötig deshalb, weil sie nun viele Liker in ihrer Statistik haben, die nur wegen dieses einen iPad-Gewinnspiels (und fast immer gibt es ja iPads zu gewinnen) die Seite geliked haben. Entsprechend sinkt nach Ende des Preisausschreibens die Aktivität.

Tatsächlich gilt schlicht das, was Facebook-Mitarbeiter Heiko Hebig (zuständig für Unternehmens-Beziehungen) jüngst auf Facebook schrieb:

„Frage: Wie erziele ich mit meiner Facebook-Page eine große organische Reichweite? Antwort: Mit Inhalten. Jaja, das klingt oberschlau unspektakulär. Aber all zu oft sehe ich Facebook-Seiten, die quasi nur als Linkschleuder betrieben werden. „Hier ist ein Link zu meinem Artikel auf meiner Webseite, bitte draufklicken.“ Ein Satz oder ein Satzfragment, ein Link, fertig. Im Jahr 2014 ist das keine gute Strategie, um viele Menschen zu erreichen. Eine erfolgreiche Facebook-Page ist im besten Fall ein eigenständiges journalistisches Produkt, geschrieben von Menschen für Menschen, mit guten und einzigartigen Inhalten, Bildern – und ja, auch mit Links. Aber um einfach nur Links mit einer generischen Überschrift zu veröffentlichen, braucht man weder Menschen noch Ideen. Das können auch Computerprogramme erledigen, in vielen Fällen sogar besser als Menschen. In einem redaktionellen Kontext spielen sich Facebook-Page und Website jeweils die Bälle zu und ergänzen sich beidseitig. Im besten Fall ist die Facebook-Page also viel mehr als ein Wurmfortsatz einer Website. Facebook ist eine eigenständige Spielwiese mit viel kreativem Freiraum, der gute Inhalte auch dann durch virale Reichweite amplifiziert, wenn es um andere Themen geht als Katzen.“

horizont-facebook-kassiert

Der allergrößte Teil dessen, was Unternehmen auf Facebook tun, ist in der Realität aber Kindergarten-Kommunikation nach dem Motto “Tutsitutsi, wie war Euer Wochenende?” Dazu gibt es putzelig variierte Stock-Fotos mit ganz viel Herzchen. Das ist eine gewisse Zeit und in einer gewissen Zielgruppe ganz nett. Aber irgendwann langweilt es die Nutzer, weshalb die Aktivität dann wieder mit Werbung nach oben geschossen werden muss.

Auch Facebook selbst mag diese Billig-Kommunikation nicht. Weshalb man nun aktiv gegen Seiten vorgeht, die beispielsweise ständig zum Liken ihrer Beiträge aktivrufen oder einen Beitrag mehrfach posten. Im Firmenblog heißt es:

„The goal of News Feed is to deliver the right content to the right people at the right time so they don’t miss the stories that are important and relevant to them.

Today we are announcing a series of improvements to News Feed to reduce stories that people frequently tell us are spammy and that they don’t want to see. Many of these stories are published by Pages that deliberately try and game News Feed to get more distribution than they normally would.“

Auch darüber werden viele Werber und Werbetreibende sich aufregen – zu Unrecht. Tatsächlich zwingt Facebook sie zu ihren Wurzeln zurück. Wer sich heute Werbung aus den 50er oder 60ern anschaut, stellt fest: Sie war entweder höchst unterhaltsam – oder sehr textlastig. Damals erklärten sich Marken und Produkte noch, erzählten Geschichten oder ihre eigene Historie. Diese Herangehensweise ist genau die, die im Facebook-Zeitalter wieder nötig ist.

Marken bewegen im Ökosystem Facebook auf Newsstreamhöhe mit Freunden, der Familie, Bekannten des Nutzers. Sie müssen zwangsläufig ihre Rolle als reiner Sender verlassen um wahrgenommen zu werden. Deshalb brauchen sie eine Kommunikationsidentität, eine Content-Positionierung.

Wie das geht, demonstrierte auf der Digital-Konferenz SXSW Leila Brilson, Entertainment Director der Lifestyle-Seite Refinery29. Im Gegensatz zu den jammernden Werbern erfreut dieses Angebot sich auf Facebook seit September vergangenen Jahres eines steten Wachstums von 30% im Monat. Aktuell zählt Refinery29 auf Facebook über eine Million Fans und eine Reden-Darüber-Quote von 16%. Laut Brilson liegt die Reichweite auf Facebook bei 400 Millionen Views im Monat. Sie sagte:

“Die Nutzer wollen redigierte, kuratierte und intelligente Inhalte von Menschen, die sie als Redakteure, Kuratoren ernst nehmen und für intelligent halten… Jeder Leser ist Dein Freund. Er will sich smart fühlen. Also präsentiere Informationen auf eine smarte Art, nicht platt.”

Und dann erläuterte sie en detail, wie viel Hirnschmalz in die so kurzen Postings fließt.

Wer steckt in Deutschland so viel Arbeit in Facebook? Kaum jemand. Es gibt große Marken, die ihre Facebook-Seiten für weniger als 1.000 Euro monatlich betreiben lassen. Die dann vielleicht ein paar Tausend Euro in Facebook-Werbung stecken. Das ist – für große Marken – ein Witz. Was würde passieren, investierte der erste Autohersteller so viel Geld in seine Facebook-Präsenz wie in das Drehen eines einzigen TV-Spots?

Tatsächlich scheuen sich ja viele Unternehmen schon, einen für Facebook entscheidenden Schritt zu wagen: Die Verbindung des Social-Web-Auftritts mit dem Kundendienst. Kunden mit konkreten Fragen erhalten auf Facebook häufig genug nur Standardantworten mit dem Hinweis, sie mögen sich an den Customer Support wenden. Nötig wäre stattdessen eine konsistente Kommunikation über Plattformen hinweg, Ansätze sind bei der Deutschen Telekom oder der Bahn zu besichtigen.

Nein, Facebook kassiert nicht ab, es macht seinen Job. Hätten die Digital-Verantwortlichen in Unternehmen das auch getan, so wüssten sie längst, dass Facebook keine alleinige Digital-Heimat für eine Marke ist. Dass zumindest mittelfristig ein Inhalte-Heimat, oder in Marketing-Sprech: ein Content Hub, entstehen muss, bei dem Marken ihre eigene Sprach in der Länge, dem Format und der Medialität ertönen lassen, die zu ihnen passt. Und dieser Inhalte-Heimat muss dann verzahnt sein mit all den Aktivitäten im Social Web. Auch diese Idee lag schon vor Jahren auf der Straße, weshalb eben das Projekt Schwarzkopf-Homepage entstand.

Facebook gib es nicht umsonst, genauso wie es kein Produkt der nun weinenden Unternehmen umsonst gibt und keine Kampagne der klagenden Werbeagenturen. Wer aber bereit ist, seine Kommunikation zu überdenken und zu ordnen, wer strategisch an die Plattform herangeht, der erhält ein Instrument, mit dem er eine Kundenkommunikation führen kann, die mit keinem anderen Medium der Welt möglich ist.

Wer trotzdem weiter wüten möchte, dem sei die Aufforderung ans Herz gelegt, die ein Lehrer in der Erfolgskomödie “Fack ju Göthe” an eine Tränen vergießende Schülerin richtet: „Chantal! Heul leise!“

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